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Prof. Ronny Freier lehrt an der TH Wildau öffentliche Finanzwirtschaft und Haushaltsrecht. (Foto: Roman Obst)
Prof. Ronny Freier lehrt an der TH Wildau öffentliche Finanzwirtschaft und Haushaltsrecht. (Foto: Roman Obst)

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„Selektive Wahrnehmung ist manchmal schwer zu ertragen“

Vor Kurzem hat die Bertelsmann Stiftung mit dem „Kommunalen Finanzreport“ eine in den Medien viel beachtete Studie veröffentlicht. Mit Prof. Rainer Stollhoff und Prof. Ronny Freier waren zwei Professoren der TH Wildau als Autoren daran beteiligt. Prof. Ronny Freier spricht im Interview darüber, wie solche Kooperationen eigentlich stattfinden und wie man als Wissenschaftler gekonnt damit umgeht, wenn die Medien eine ganz eigene Sicht auf die Forschungsergebnisse nehmen.

Wieso wird man eigentlich, wie in Ihrem Fall, Experte für kommunale Finanzen?

Es stellen sich mir dort interessante Fragen: Geben Kommunalpolitiker vor Wahlen eigentlich mehr Geld aus als zu Zeiten, wenn gerade keine Wahlen anstehen? Oder wie entwickelt sich die lokale Wirtschaft einer Kleinstadt, wenn dort das einzige Gymnasium geschlossen wird.

Was denken Sie, erhofft sich die Bertelsmann Stiftung davon, alle zwei Jahre eine solche Studie in Auftrag zu geben?

Unsere Gesellschaft hat ein starkes Interesse an selbstverantwortlichen Städten und Gemeinden. Bürgerinnen und Bürger treten mit dem Staat vor allem auf der kommunalen Ebene in Kontakt. Deshalb sollten Kommunen auch Spielräume zum politische Agieren haben. Grundlage davon ist aber eine ausreichende Finanzausstattung. Der Kommunale Finanzreport dokumentiert den aktuellen Stand mit wissenschaftlicher Genauigkeit.

In einem der ersten Sätze Ihrer Studie heißt es, in den vergangenen zwei Jahren erreichten die Kommunen historische Überschüsse. Die überregionalen Medien übernahmen hauptsächlich die kontroversen Studienteile, wonach arme Kommunen vom Wirtschaftsboom kaum profitierten und das Land in arme und reiche Regionen zu zerfallen droht.

Die beiden Aussagen stehen auch in keinem Widerspruch. Grundsätzlich bin ich nicht enttäuscht, wenn Medien sich auf einzelne Punkte beschränken. Was mich bei einigen Zeitungsartikeln gestört hat, war, dass es so dargestellt wurde, als hätten wir lediglich die zehn reichsten mit den zehn ärmsten Kommunen in Deutschland verglichen.

Nachrichten arbeiten sehr oft mit den Hilfsmitteln der Verkürzung und des Konflikts.

Den genannten Vergleich haben wir im letzten Kapitel herangezogen, um die Schärfe der finanziellen Situation herauszuarbeiten. Die Studie nimmt aber die Situation aller Kommunen in Deutschland in den Blick.

Wie gehen Sie als Wissenschaftler damit um?

Die Presse möchte einfache Aussagen und klare Handlungsempfehlungen, das verstehe ich. Trotzdem ist die selektive Wahrnehmung für einen Wissenschaftler manchmal schwer zu ertragen. Man möchte, dass jedes Kapitel der Studie gelesen und die Aussagen auch so differenziert wahrgenommen werden.

Wie muss es aussehen, dass es in der Berichterstattung gut für Sie läuft?

Die besten Journalisten und Journalistinnen fragen selbst nochmal nach. Aber meistens arbeiten Redaktionen so unter Druck, dass sie zu schnellen Überschriften und Aussagen neigen. Die sind dann natürlich nicht falsch, aber oft nicht so treffsicher, wie man sich das wünscht.

Wie schätzen Sie die Bedeutung einer solchen Studie wie dem „Kommunalen Finanzreport“ ein?

Sie versucht einer breiten Öffentlichkeit wichtige Themen der kommunalen Finanzen näher zu bringen. Wie hoch ist eigentlich die Verschuldung meiner Stadt? Wie entwickeln sich die Sozialausgaben? Mit der öffentlichen Wahrnehmung entsteht dann auch politischer Handlungsdruck.

Denken Sie, dass sich die Leute zu wenig für die Finanzen ihrer Kommunen interessieren?

Den Eindruck habe ich nicht. Der letzte Report hatte über 40.000 Downloads und es wurden mehrere hundert Beiträge dazu geschrieben oder gesendet.

Und was macht die Politik, Ihrer Beobachtung nach, dann daraus?

Der letzte Report konnte die Diskussion um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wieder mit entfachen, ebenso wie die Problematik der Altschuldenregelung für überschuldete Kommunen. In Brandenburg hat die Landesregierung als Reaktion eine eigene Stellungnahme herausgegeben.

Überrascht Sie die große Aufmerksamkeit am Report?

Jedes Mal wieder. Wenn man jeden Tag mit öffentlichen Finanzen zu tun hat, gibt es selten große Neuigkeiten. Aber das Interesse der Öffentlichkeit an fundierten Zahlen ist ungebrochen.

Wie frei von Vorgaben durch die Bertelsmann Stiftung sind Sie überhaupt bei einer solchen Arbeit?

Als Wissenschaftler ist es wichtig, auch bei Auftragsarbeiten die wissenschaftliche Neutralität zu wahren. In der Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung habe ich in diesem Zusammenhang bisher keinerlei Probleme. Meiner Meinung nach sollten Wissenschaftler sich unbedingt auch mit eigenen politischen Meinungen positionieren. Allerdings muss die politische Meinung als solche erkennbar sein.

Und wenn Sie verschiedener Meinung sind, was gerade politisch angesagt ist?

Als Autorenteam formulieren wir politische Empfehlungen gemeinsam. Dabei kann es auch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Projektleitung oder zwischen den Wissenschaftlern kommen. In diesem Fall muss jede Seite versuchen, die andere mit Fakten zu überzeugen. Bleibt man bei unterschiedlichen Meinungen, kann der Finanzreport in diesem Punkt keine Meinung vertreten oder es müssen beide Argumente genannt werden.

Ist Ihre Meinung als Experten denn gefragt?

Viele kommunale Entscheidungsträger informieren sich über den Report. Verbände berufen sich mit ihren Forderungen darauf. Politikberaterinnen und -berater sprechen uns an, um mit uns die Ergebnisse zu diskutieren. Ab und zu erreicht uns auch die Anfrage eines Bürgermeisters, ob ihre Kommune tatsächlich den höchsten Steuersatz in der Region hat, oder ob bei ihnen die Investitionstätigkeit hinterherhinkt.

Ronny Freier ist seit 2017 Professor an der TH Wildau für öffentliche Finanzwirtschaft und Haushaltsrecht. Der Diplom-Volkswirt hat 2011 an der Stockholm School of Economics promoviert und anschließend als Projektkoordinator am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin gearbeitet. Er wirkt seit 2014 am Kommunalen Finanzreport mit.

Ansprechperson:
Prof. Dr. phil. Ronny Freier
Fachbereich Wirtschaft, Informatik, Recht

TH Wildau
Hochschulring 1
15745 Wildau

Fragen und Redaktion: Roman Obst

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